Pflege verschärft Armutsrisiko auf dem Land

Immer mehr Menschen im ländlichen Raum können sich keine notwendige Pflege mehr leisten. Hintergrund sind eine wachsende Armutsgefährdung bei über 65-Jährigen sowie permanent steigende Kosten für die ambulante und stationäre Pflege. Hinzu kommen mangelnde Mobilitätsangebote und Netzwerke sowie eine schlechter werdende medizinische Versorgung auf dem Land. Die Wechselwirkungen von Altersarmut und Pflege waren jetzt Thema bei einem Aktionstag in Freienwill im Kreis Schleswig-Flensburg. Dazu hatten das Diakonische Werk Schleswig-Holstein und die Sozialstation im Amt Hürup Betroffene sowie Fachleute aus Pflege, Wohlfahrt, Verwaltung und Politik eingeladen.

„Die Lage von pflegebedürftigen Menschen mit kleinem Einkommen auf dem Land ist schwierig“, sagt Landespastor und Diakonievorstand Heiko Naß. „Auch die Angehörigen stehen vor immer größeren Herausforderungen. In den meisten Fällen übernehmen sie die Pflege, mit der Folge, dass sie weniger arbeiten können und später selbst von Altersarmut betroffen sein werden. Wenn die ländlichen Gebiete auch künftig als lebenswerter Raum für alte Menschen erhalten bleiben sollen, müssen wir als Gesellschaft dringend gegensteuern. Einige Ideen dazu wurden bei dem Aktionstag in Freienwill zusammengetragen, zum Beispiel das Nachdenken über alternative Wohnformen und innovative Mobilitätsangebote. Als Diakonie werden wir uns dafür einsetzen, dass diese Ideen Wirklichkeit werden.“

In Schleswig-Holstein sind laut Statistikportal des Landes 15,3 Prozent aller über 65-jährigen Menschen armutsgefährdet. Besonders betroffen sind dabei Frauen: Hier liegt die Quote bei 17,1 Prozent, bei Männern hingegen bei 13,2 Prozent. Gleichzeitig steigen die Eigenanteile für die Pflege. Für einen Platz in einem Pflegeheim müssen Pflegebedürftige in Schleswig-Holstein zurzeit durchschnittlich 2.354 Euro zuzahlen. Auch die häusliche Pflege wird immer teurer. Zwar wurden das Pflegegeld bzw. das Budget für Sachleistungen Anfang des Jahres um 5 Prozent angehoben. Das kann die stark angestiegenen Personal- und Betriebskosten der ambulanten Pflegeanbieter aber keineswegs auffangen. Letztlich müssen auch hier die Betroffenen draufzahlen. In der Folge buchen sie oft weniger Pflegeleistungen als sie benötigen, teilweise nehmen sie überhaupt keine Leistungen in Anspruch.

Wie groß die Not der von Armut betroffenen Menschen auf dem Land ist, machen folgende Zitate deutlich, die beim Aktionstag vorgetragen wurden: „Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet und Kinder erzogen, aber die Rente reicht nicht.“ „Ich bin immer sehr allein, komme hier aber nicht mehr weg.“ „Die Zuzahlung zu Medikamenten ist so hoch, dass ich beim Essen sparen muss.“ „Hier bei uns gibt es keine flexiblen Taxiunternehmen mehr.“ „Ich würde gern öfter in den Tagestreff gehen […], aber mir fehlt das Geld für den Eigenanteil.“ „Trotz Pflegegrad 4 und Hilfe vom Ehemann reicht das Geld nicht.“ „Pflege ist Luxus.“

Andere Faktoren verschärfen die Situation von Menschen im Alter auf dem Land weiter: Vor allem müssen immer mehr ambulante Pflegedienste wegen fehlender Fachkräfte ihre Angebote einschränken. Davon betroffen sind insbesondere pflegebedürftige Menschen mit einem hohen Pflegegrad. Kurzzeitpflegeplätze sind ebenfalls nur unzureichend vorhanden. Hinzu kommen mangelnde Mobilitätsangebote, so dass zum Beispiel Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Physiotherapeuten und soziale Angebote nur schwer erreicht werden können. Fahren Busse, sind sie oft nicht barrierefrei. Außerdem gibt es immer weniger Landärzte. Eigengenutzte Immobilien sind zwar oft abbezahlt, aufgrund der Größe und teils mangelnder energetischer Sanierung aber in der Unterhaltung sehr teuer.

Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmenden des Aktionstags in Freienwill konkrete Lösungsvorschläge, um die Situation von Pflegebedürftigen auf dem Land zu verbessern. Beim Thema Pflege schlugen sie die flächendeckende Einführung von Gemeindeschwestern bzw. Dorfkümmerern vor. Diese sollten frühzeitig Menschen im Alter und ihre Angehörigen zum Beispiel über Pflegeangebote, finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten und nötige Umbauarbeiten in den Wohnungen und Häusern beraten und wenn nötig das Zusammenspiel von Pflegeanbietern und Familien koordinieren. Darüber hinaus müssten ehrenamtliche und professionelle Strukturen in den Dörfern besser vernetzt werden. Vor allem aber forderten die Teilnehmenden eine nachhaltige Reform der Pflegeversicherung, um künftig die hohen Eigenanteile zu vermeiden.

Zum Thema altersgerechtes Wohnen sprachen sich die Teilenehmenden dafür aus, mehr alternative Wohnformen zu fördern, etwa durch den Bau von Mehrgenerationenhäusern. Dazu müsse zum Teil aber das Baurecht angepasst werden. Außerdem sei es wichtig, auf dem Land den sozialen Wohnungsbau voranzubringen, wobei die Wohnungen nicht nur kostengünstig, sondern auch barrierefrei sein müssten.

Um alten und pflegebedürftigen Menschen die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben zu erleichtern und Einkäufe zu ermöglichen, tauschten sich die Teilnehmenden über besser Mobilitätsangebote aus. Aus ihrer Sicht müssten insbesondere Mitfahrgelegenheiten zum Beispiel über Apps besser organisiert, ehrenamtliche Fahrdienste initiiert oder regelmäßige Shuttles von Seniorenwohnanlagen zu Supermärkten geschaffen werden. In der Verantwortung sahen die Teilnehmenden des Aktionstages aber auch den öffentlichen Nahverkehr. Hier seien zusätzliche Verbindungen sowie barrierefreie Busse und Haltestellen erforderlich.

Die Vorschläge des Aktionstages werden nun vom Diakonischen Werk Schleswig-Holstein fachlich bearbeitet, zusammengefasst und in die zuständigen Gremien der Kommunen, Kreise und des Landes eingebracht.